dc.description.abstract
Die Beobachtungen weltraumgeodätischer Verfahren wie z.B. der Very Long Baseline Interferometry (VLBI) werden durch atmosphärische Effekte, die auf den Signalweg und die -ausbreitung wirken, beeinflusst. Um die Beobachtungsdaten korrekt auswerten zu können, müssen diese Effekte in Form von Laufzeitverzögerungen korrigiert werden. Heutzutage sind die Einflüsse der Atmosphäre bzw. genauer gesagt jener der Troposphäre, da diese den Hauptanteil der unbekannten atmosphärischen Einflüsse darstellt, eine der Hauptfehlerquellen bei VLBI-Auswertungen. Diese Tatsache liefert zugleich die grundlegende Motivation als auch die Ausgangslage für die vorliegende wissenschaftliche Arbeit. Der derzeitige Standardansatz zur Auswertung von VLBI-Beobachtungen verwendet eine indirekte Bestimmungsmethode der troposphärischen Laufzeitverzögerungen mit Hilfe von a priori und geschätzten Zenitlaufzeitverzögerungen und Projektionsfunktionen. Die vorliegende Arbeit verfolgt jedoch einen anderen Ansatz. Die Verwendung der Methode der Strahlverfolgung, bekannt aus verschiedenen Wissenschaftsgebieten, ist ein vielversprechender Ansatz für die direkte und genaue Bestimmung der troposphärischen Laufzeitverzögerungen. Zielsetzung ist die Verbesserung der VLBI-Auswertung mit Hilfe der direkten Bestimmung der troposphärischen Laufzeitverzögerungen mittels Strahlverfolgung und deren Anwendung in der Auswertung. Der essentielle Unterschied zum Standardansatz der Korrektur ist die Verwendung von echten meteorologischen Daten entlang des eigentlichen Signalpfades, um die troposphärische Laufzeitverzögerung zu berechnen. Weiters werden der tatsächliche Signalpfad und die Laufzeitverzögerung gemeinsam unter Anwendung der Methode der Strahlverfolgung und der meteorologischen Parameter bestimmt. Dies führt zu einer in sich geschlossenen Lösung für die Bestimmung der troposphärischen Laufzeitverzögerungen. Als Teil der Dissertation wurde ein schnelles und genaues Strahlverfolgungsprogramm namens RADIATE für die operationelle Bestimmung von troposphärischen Laufzeitverzögerungen erstellt. Untersuchungen zum optimalen operationellen Programmdesign werden durchgeführt mit folgendem Ergebnis für die operationelle Strahlverfolgung: Die Verwendung vertikal hochaufgelöster meteorologischer Profile, angewandt auf den schnellen stückweise linearen (PWL) Strahlverfolgungsansatz, der seinerseits eine Vereinfachung der strikten Realisierung der Signalausbreitung in der Atmosphäre darstellt, liefert genaue troposphärische Laufzeitverzögerungen für die Anwendung in der VLBI-Auswertung. Die Validierung des entwickelten Strahlverfolgungsprogramms RADIATE erfolgt mittels Vergleich gegen Softwarepakete von anderen Institutionen. Als Ergebnis zeigt sich ein gutes Abschneiden des Programms, da die totalen troposphärischen Laufzeitverzögerungen, berechnet aus den Projektionsfaktoren, sehr gut mit jenen der anderen Programme übereinstimmen. Bei einem Elevationswinkel von 5° betragen die einzelnen Differenzen der RADIATE PWL-Resultate zu jenen der anderen Programme, die das gleiche numerische Wettermodell (NWM) verwenden, im Mittel weniger als 1,0 cm an der Station TSUKUB32 und weniger als 2,4 cm an der Station WETTZELL. In einem weiteren separaten Test werden die Zenitlaufzeitverzögerungen aus dem Programm RADIATE mit jenen verglichen, die in einer typischen VLBI-Auswertung bestimmt wurden. Dafür wird der Beobachtungsdatensatz der Continuous VLBI Campaign 2011 (CONT11) des International VLBI Service for Geodesy and Astrometry (IVS) verwendet. Auch auf diesem Gebiet kann eine gute Übereinstimmung erzielt werden. Die Standardabweichung der Differenzen beträgt in Bezug auf die totale Zenitlaufzeitverzögerung bei fast allen untersuchten Stationen weniger als 1,5 cm, jene in Bezug auf die hydrostatische Zenitlaufzeitverzögerung stets weniger als 0,5 cm und jene in Bezug auf die feuchte Zenitlaufzeitverzögerung bei fast allen Stationen weniger als 1,5 cm. Darüber hinaus wird der Einfluss der mittels Strahlverfolgung bestimmten troposphärischen Laufzeitverzögerungen des Programms RADIATE auf die VLBI-Auswertung untersucht. Zu diesem Zweck werden mittels Strahlverfolgung die Laufzeitverzögerungen für alle Beobachtungen der Analyse bestimmt und in der Auswertung angebracht. Die Analyse umfasst Beobachtungsdaten von 16,5 Jahren zwischen Jänner 1999 und Ende Juni 2015, d.h. insgesamt 2340 Sessions. Der Einfluss der mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen auf die Auswertung wird auf die Ergebnisse der Wiederholbarkeit der Basislinienlänge (BLR) und auf die Lösung für den terrestrischen Referenzrahmen (TRF) bezogen. Die BLR-Ergebnisse zeigen, dass die Anwendung der mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen in der Auswertung im Mittel zu den gleichen Ergebnissen führt wie eine Standardauswertung, wenn beide Auswertungsparameterisierungen die Schätzungen der feuchten Zenitlaufzeitverzögerung und der troposphärischen Gradienten beinhalten. Dennoch zeigt sich, dass immerhin 55,9% der Basislinien von der Verwendung der mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen profitieren. Die Unterschiede liegen in diesem Vergleich im Bereich von Sub-mm. Der Einfluss ändert sich wesentlich, wenn keine troposphärischen Gradienten innerhalb der Auwertung geschätzt werden. Dann hat jene Auswertung, die die mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen verwendet, signifikant bessere BLR-Ergebnisse als jene Auswertung ohne die mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen, da 90,6% der Basislinien verbessert werden. Diese Feststellung ist hinsichtlich zweier Aspekter wertvoll. Zum einen wird dadurch die Korrektheit der Strahlverfolgungsergebnisse des Programms RADIATE aufgrund der homogenen Verbesserung fast aller Basislinien bestätigt. Zum anderen bedeutet dies, dass die Information über die troposphärischen Gradienten, die implizit in den mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen enthalten ist, richtig in der Auswertung angebracht wird. Im Mittel wird die BLR um 1,0 mm durch die Anwendung der mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen verbessert. Die mittlere relative Verbesserung verglichen mit dem Verzicht auf deren Anwendung beträgt 9,3%. In Bezug auf die TRF-Lösungen zeigt sich, dass es fast keine Auswirkung gibt, wenn die mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen im Fall der Schätzung der troposphärischen Gradienten in der Auswertung angewandt werden. Lediglich eine im Mittel geringfügige Hebung der Stationen um 0,7 mm kann beobachtet werden in Bezug auf eine Auswahl an zuverlässigen Stationen. Die horizontalen Stationsverschiebungen betragen maximal 1,1 mm. Der Maßstab des Rahmens wird nur um 0,1 ppb beeinflusst. Somit kann gesagt werden, dass der Rahmen annähernd unverändert bleibt. Werden keine troposphärischen Gradienten in der Auswertung geschätzt, dann zeigt die Anwendung der mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen einen klareren Einfluss auf die Stationshöhen und die horizontalen Stationspositionen. Im Mittel werden die Stationen um 1,1 mm gehoben und um 2,7 mm horizontal verschoben, bezugnehmend auf eine Auswahl an zuverlässigen Stationen. Besonders der Einfluss auf die horizontalen Stationspositionen zeigt, dass die Information über die troposphärischen Gradienten, die implizit in den mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen enthalten ist, richtig in der Auswertung angebracht wird. Wiederum wird der Maßstab des Rahmens nur um 0,1 ppb beeinflusst und es zeigt sich allgemein, dass die Anwendung der mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen den Rahmen nicht signifkant verändert. Ein Vergleich der BLR-Ergebnisse, wenn die mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen vom Programm RADIATE oder jene vom National Aeronautics and Space Administration Goddard Space Flight Center (NASA GSFC) in der VLBI-Auswertung von 2085 Sessions zwischen Jänner 2000 und Ende Jänner 2015 angewandt werden, zeigt, dass die mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen vom Programm RADIATE leicht bessere Resultate erzielen. Werden troposphärische Gradienten innerhalb der Auswertung geschätzt, so besteht zwar im Mittel kein Unterschied in den BLR-Ergebnissen, aber die mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen vom Programm RADIATE sind im Sub-mm Bereich besser für 51,3% der Basislinien. Werden keine troposphärischen Gradienten innerhalb der Auswertung geschätzt, so führt die Anwendung der mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen vom Programm RADIATE zu im Mittel um 0,2 mm besseren BLR-Ergebnissen. Sie sind insgesamt auch besser für 63,0% der Basislinien. Die mittlere relative Verbesserung beträgt 1,5% verglichen mit dem BLR-Ergebnis unter Verwendung der mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen vom NASA GSFC. Die Unterschiede zwischen den Leistungen der mittels Strahlverfolgung bestimmten Laufzeitverzögerungen vom Programm RADIATE und vom NASA GSFC kommen vermutlich hauptsächlich davon, dass unterschiedliche NWM zu deren Bestimmung verwendet werden.
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