Historisch gesehen, erfuhren Dachräume in den letzten hundert Jahren einen deutlichen Wertewandel. In den Gründerzeitbauten, also jenen Häusern, die in den Jahren 1850 bis 1918 errichtet wurden und rund ein Drittel der Wiener Bausubstanz ausmachen, war der Dachraum zumeist ungenutzt. Schlecht zu heizen und mühsam erreichbar, dienten die Böden allenfalls zum Wäschetrocknen oder als Ateliers für mittellose Künstler.<br />Unter dem Dach zu wohnen oder zu arbeiten, bedeutete im Sommer Barackenklima und im Winter Kohlen vom Keller bis ganz nach oben zu schleppen. Wohlhabende bevorzugten daher die unteren Geschosse. Die herrschaftlichen Wohnräume befanden sich im Hochparterre, der sogenannten Beletage. Der zunehmende Straßenlärm und -staub, Aufzugseinbauten, Gasetagenheizungen und hochwirksame Dämmstoffe veränderten diese Situation grundlegend. Große Fenster aus Isolierglasscheiben sorgen für licht- und luftdurchflutete Räume und beugen gleichzeitig sowohl der winterlichen Heizkostenexplosion als auch der sommerlichen Überhitzung vor. Terrassen fungieren als kleine Privatgärten mit Ausblick bis zum Kahlenberg. Die exponierte Lage vermittelt zudem das Gefühl, über den Anderen zu residieren und den sozialen Aufstieg auch räumlich "geschafft" zu haben. So wanderten die Nobeletagen im Laufe der Zeit vom mittlerweile unpopulären Hochparterre hinauf aufs Dach.<br />Doch sind nicht nur Investoren an einem zunehmenden Ausbau der Wiener Dächer interessiert, auch die Stadtverwaltung hat durchaus ein Interesse daran. Da ein ausgebautes Dachgeschoss an die Infrastruktur des bestehenden Hauses angeschlossen ist, erwachsen der Stadt daraus - im Vergleich zu Stadterweiterungsprojekten an der Peripherie - praktisch keine Kosten. Die Versorgung der neuen Wohneinheiten mit Wasser, Strom, Kanalisation, öffentlichem und Individualverkehr ist aufgrund der zentralen Lage bereits gewährleistet.<br />Die vertikale Weiterentwicklung des urbanen Raumes ist eine der zentralen, architektonischen Herausforderungen unserer Zeit. Die Tatsache, dass sich der Wohnungsbau seit einigen Jahren zunehmend von den urbanen Randzonen auf innerstädtische Dächer verlagert, wirft natürlich eine Menge neuer Fragen auf. Wie lassen sich wirtschaftliche Dachausbauten mit den Vorgaben des Denkmalschutzes und des Weltkulturerbes vereinen? Wie muss der Gesetzgeber agieren, um die Rechte der Anwohner bestmöglich zu schützen und gleichzeitig eine anspruchsvolle Architektur zu ermöglichen? Einerseits erfordern Baustellen auf alten Gebäuden technisches Fachwissen, Engagement des Architekten und entsprechend erfahrene Handwerker. Andererseits verlangt die öffentliche Meinung bei der Veränderung historischer Bauten eine große ästhetische Sorgfalt. Und so entfacht die Adaptierung alter Häuser zumeist heftige Debatten.<br />Konkret sieht die Bauordnung bezüglich Volumen und Form von Dachausbauten drei wesentliche Beschränkungen vor: Die maximale Bauhöhe, die maximale Dachneigung von 45 Grad und die Begrenzung sogenannter Gaupen auf maximal ein Drittel der Fassadenlänge. In der Spruchpraxis der MA 19 sollen Dachauf- oder ausbauten weiters hinter der bestehenden Fassade zurückspringen. Optisch zählt das Erscheinungsbild der Altsubstanz, während neue architektonische Lösungen von der Straße aus möglichst unsichtbar bleiben sollen.<br />Auf Grund des wirtschaftlichen Druckes trachten Bauherrn zumeist danach, das Ausbauvolumen so groß als möglich zu halten und die Einschränkungen der Bauordnung weitestgehend auszuschöpfen. Die überwiegende Mehrzahl der Ausbauten präsentiert sich dem Betrachter als exakte Entsprechung der Bauordnung. Das heißt, dass praktisch alle neuen Dächer als Satteldach mit einer Neigung von 45 Grad ausgeführt werden und Gaupen mit gesetzlich erlaubter Maximalgröße aufweisen. Diese Art von Dachaufbauten führen im verdichteten Auftreten zu einer Vereinheitlichung der Dachzone, die zudem nicht mit der historischen Bausubstanz korreliert (Gründerzeithäuser haben flachere Dächer ohne Gaupen). So gesehen, schafft die Wiener Bauordnung nicht nur die rechtlichen Rahmenbedingungen für die vertikale Stadterweiterung sondern ist selbst ein Gestalter derselben.<br />Der Trend zum Dach ist in Wien mittlerweile ebenso Realität wie die Strukturverbesserung von Altbauten durch die Erweiterung der Wohnfläche bis unters Dach.
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Historically seen, roof spaces experienced clear changing in the last hundred years. In the buildings of the period of promoterism, which were established in the years 1850 to 1918, the roof spaces were mostly unused. Bad to heat and laboriously attainable, the soils only served for laundry-drying or as studios for artists. To live or work under the roof means barrack climate in the summer and dragging coals from the cellar upward in the winter.<br />Wealthy people preferred the lower stages. These dwellings were located in the "Hochparterre", the so-called "Beletage". The increasing road noise and dust, elevator installations, gas heaters and highly effective insulating materials changed this situation fundamentally. Large insulation glass windows made the rooms in the roof friendlier and lighter and bend at the same time both, the winter heating costs explosions and the summer overheating. Terraces were small private gardens with views up to the mountain. These exposed locations obtained as well the feeling to resident over the others and to make a social ascent also spatially. That is why these extraordinary stages moved up from the meanwhile unpopular "Hochparterre" to the roof.<br />But not only investors are interested in an increasing development of these "Viennese roofs", the city administration have quite an interest in it to. A developed attic is attached to the infrastructure of the existing house, for it - compared with urban extension project at the periphery - practically no costs arise for the city. The supply of the new housing units with water, electricity, drains, public and individual traffic is already ensured due to the central situation.<br />The vertical development of the urban areas is one oft the central, architectural challenges of our time. The fact is that since some years, the house building shifts from the urban zones to the roof spaces in the city. This raises naturally a quantity of new questions. How can the economic roof spaces be united with the defaults of the monumental protection and the world cultural heritage? How does the legislator have to act, in order to protect the rights of the residents in the best way and to make a fastidious architecture possible at the same time? On the one hand building sites on old buildings require a technical specialized knowledge, commitment of the architect and experiences craftsmen. On the other hand the public opinion requires a large aesthetic care with the change of historical buildings. And in such a way the adaptation of old houses ends mostly in endless debates.<br />The building code, concerning volumes and form of the roof spaces, has three restrictions: The maximum overall height, the maximum roof pitch of 45 degrees and the delimitation of the so-called "Gaupen" on maximally a third of the front length. In the practice of MA 19, roof removals have to jump back further behind the existing front. Optically the appearance of the old substance is important, while new architectural solutions are to remain as invisible as possible from the road. Due to the economical pressure owners mostly keep the development volume largely as possible and to exhaust the restrictions of the building code as good as possible. The predominant majority of the removals present itself to the viewers as accurately adapted to the building code. That means, that practically all new roofs are "saddle roofs" with an inclination of 45 degrees and the "Gaupen" have the legally permitted maximum size. This kind of roof systems lead to a standardization of the roof zone which is not correlating with the historical built volumes (houses built in the period of promoterism have flatter roofs without "Gaupen"). So the Viennese building code create not only the legal basic conditions for the vertical urban extension, they are even the former of the same.<br />Meanwhile the trend to the roof is in Vienna reality like the structure improvement of old buildings by the extension of the space till under the roof.