Hnilica, S. (2006). Stadtmetaphern : Camillo Sittes Bild der Stadt im Architekturdiskurs [Dissertation, Technische Universität Wien]. reposiTUm. https://resolver.obvsg.at/urn:nbn:at:at-ubtuw:1-21004
Die Untersuchung basiert auf einer umfassenden Lektüre der städtebaulichen Schriften des Wiener Architekten, Theoretikers und Lehrers Camillo Sitte, dessen bis heute in 15 Sprachen übersetztes Hauptwerk "Der Städtebau nach seinen Künstlerischen Grundsätzen" (1889) einen bedeutenden frühen Versuch darstellt, das Phänomen Stadt in den krisenhaften Umwälzungen durch die Industrialisierung neu zu denken. Um die Komplexität der rasant wachsenden Städte zu begreifen, fasste Sitte diese in verschiedenen Metaphern. Metaphern werden in dieser Arbeit nicht als rhetorische Ornamente aufgefasst, vielmehr verstehe ich Metaphern als Grund legend für unser Denken. Über metaphorische Beziehungen werden Ähnlichkeiten hergestellt, die unsere Erfahrungswelt strukturieren und damit Wirklichkeiten konstruieren (Max Black, George Lakoff/Mark Johnson). Ich gehe davon aus, dass Metaphern in Fachdiskursen eine wissenschaftlichen Modellen ähnliche Rolle einnehmen können (Thomas S. Kuhn).<br />Im Hauptteil der Arbeit werden die herausgefilterten Metaphern zunächst in Bedeutungsfelder gegliedert. Sitte dachte die Stadt gleichzeitig als Haus, Lebewesen, Person, Natur, Technik, Bühne, Geschichte und Kunst.<br />Textpassagen Sittes werden mit Äußerungen weiterer maßgeblicher Autoren, wie Adolf Loos, Le Corbusier, Aldo Rossi, Rem Koolhaas u.a., kontrastiert. So werden die jeweils relevanten Traditionen, Interpretationskollisionen und Bedeutungsverschiebungen herausgearbeitet. Über die Metaphern kann so auf Paradigmen (im Sinne von Kuhn) geschlossen werden, die den Texten zugrunde liegen. Zentrale Traditionen und Kontroversen um die Stadt lassen sich entlang der im Architekturdiskurs verwendeten Metaphern und deren vielfältigen Auslegungen nachzeichnen. In der Diskussion von Sittes Stadtmetaphern werden verschiedene Funktionsweisen von Metaphern deutlich. In Zeiten der Krise können als Ausweg über Metaphern Modelle aus anderen, erfolgreicheren Disziplinen in den eigenen Fachdiskurs transferiert werden. In anderen Fällen werden traditionsreiche Metaphern neu gedeutet und wirken dann als Motoren für Paradigmenwechsel. Auslöser dafür können Paradigmenwechsel in der Lehndisziplin sein. Selbst scheinbar "buchstäbliche" Formulierungen erweisen sich letztendlich häufig als Metaphern, die lediglich nicht mehr als solche wahrgenommen werden. Die zahlreichen und oft widersprüchlichen Aspekte der Stadt können nur über die Kombination unterschiedlicher Metaphern gefasst werden, die nicht immer konsistent sein müssen. Somit haben Stadtmetaphern wesentlichen Einfluss auf Planungsentscheidungen. Stadtmetaphern bergen damit ein beeindruckendes kreatives Potential, das es in Architektur und Städtebau auch weiterhin zu nutzen gilt.