Ronneberger, K. (2021). Utopische Gemeinschaften und Siedlungsassoziationen. In A. Holm & C. Laimer (Eds.), Gemeinschaftliches Wohnen und selbstorganisiertes Bauen (pp. 11–20). TU Wien Academic Press. https://doi.org/10.34727/2021/isbn.978-3-85448-044-0_2
Lange Zeit hatten in der ,offiziellen‘ Geschichte der Arbeiter*innenbewegung Genossenschaftsinitiativen
und Selbsthilfeunternehmen nur eine marginale Rolle gespielt.
Dabei war die Bandbreite solcher Aktivitäten enorm: Im frühen 20. Jahrhundert
reichten sie von Konsumvereinen über Produktions- und Baugenossenschaften bis
hin zu Versicherungsgesellschaften.
Die Vorgeschichte des genossenschaftlichen Wohnungsbaus speist sich aus
sehr unterschiedlichen Ideologien und sozialreformerischen Praktiken. Man denke
nur an die experimentellen Projekte der sogenannten utopischen Sozialisten oder
an die Siedlungsvorhaben bürgerlicher Philanthropen (altgriechisch: Menschenfreund).
Die Übertragung des Gedankens der Selbsthilfe auf die Wohnraumbeschaffung
erweist sich als ausgesprochen schwierig, denn die speziellen Eigenschaften
der Wohnungsproduktion (Langlebigkeit, komplizierte planerische Erschließung,
hohe Finanzierungskosten) erschweren bzw. verunmöglichen Versuche einer genossenschaftlichen
Selbsthilfe aus den Reihen der Arbeiterschaft. Der Aufstieg der
Wohnungsbaugenossenschaften
im späten 19. Jahrhundert zeichnet sich deshalb
durch zwei Besonderheiten aus: Entweder handelte es sich um reine Mittelstandprojekte
oder sie wurden von externen Finanzhilfen
abgestützt, die mit speziellen
Vorgaben verbunden waren (vgl. Novy/Prinz 1985: 12ff.).