Nuss, S. (2021). Gemeinschaft und ihr Eigentum. In A. Holm & C. Laimer (Eds.), Gemeinschaftliches Wohnen und selbstorganisiertes Bauen (pp. 55–64). TU Wien Academic Press. https://doi.org/10.34727/2021/isbn.978-3-85448-044-0_5
Bei kaum einem Thema prallen Privateigentum und Konzepte gemeinschaftlichen
Eigentums kontroverser aufeinander als beim Wohnen. Das hat vielfältige Gründe.
So wurden in den letzten Jahrzehnten immer mehr Wohnungen der Logik des
Markts unterstellt und in manchen Städten überstieg die Nachfrage das Angebot.
Verdrängung und Mietsteigerungen waren die Folge. Konflikte zwischen jenen, die
auf bezahlbares Wohnen angewiesen sind, und jenen, die dieses Bedürfnis zum
Mittel ihrer Altersvorsorge oder zur Renditesteigerung nutzen, polarisieren die
Stadtgesellschaften. Vor diesem Hintergrund erklärt sich der erbittert geführte
Streit um die Wohnungsfrage: Soll der Staat eingreifen und neben anderen Regulierungsinstrumenten
kommunales, genossenschaftliches und selbstverwaltetes
Wohnen fördern oder soll der Staat Anreize setzen für privates Bauen, Vermieten
bzw. Verkaufen? Unabhängig davon, wie diese Frage im Detail und am Beispiel
Wohnen diskutiert wird, steht dahinter mal mehr, mal weniger explizit der Streit
darum, welches Eigentum dem Gemeinwohl dienen könne. Gemeineigentum in
seinen unterschiedlichsten Formen und Begriffen – staatlich, kommunal, öffentlich,
kollektiv etc. – wird bescheinigt, sozialen Kriterien wie zum Beispiel niedrigschwelliger
Zugang und demokratische Mitbestimmung besser genügen zu
können als Privateigentum. Andererseits wird unterstellt, dass in solchen Eigentumsformen
aufgrund fehlender privater Anreizstrukturen Wirtschaftlichkeit und
Effizienz vernachlässigt werden.
Vorliegender Artikel möchte dieser weit verbreiteten Entgegensetzung nachgehen
und zeigen, dass privat nicht das jeweils ganz andere von gemeinschaftlich ist.
Vielmehr ist Privateigentum ohne Formen gemeinschaftlichen Eigentums gar nicht
denkbar. Diese Abhängigkeit ist allerdings nicht ohne Spannung. Sie tendiert dazu,
die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenhangs zu gefährden. Gemeineigentum
wiederum beruht auf der gleichen Rechtsordnung wie Privateigentum, stößt
aber mit seinen gesellschaftspolitischen Idealen stets an die Grenzen genau dieser Ordnung. Um diesen Zusammenhang zu durchdringen, bedarf es eines größeren Anlaufs, genauer: einer grundsätzlichen theoretischen Ortsbestimmung. Das Thema Wohnen dient hierbei an ausgewählten Stellen zwar der Illustration, im Kern des vorliegenden Textes steht jedoch die Frage: Was ist Eigentum?