Die Spaltung in eine öffentliche und private Sphäre, in Produktion und Reproduktion, in entlohnte Erwerbsarbeit und in unsichtbare und unbezahlte (oder schlecht bezahlte) Haus und Sorgearbeit prägt bis heute unsere Lebenswelt und die Organisation unseres Alltagslebens.1 Architektur materialisiert diese Spaltung in privat und öffentlich, in unsichtbar und sichtbar. Der gebaute Raum macht Haus- und Sorgearbeit unsichtbar – ermöglicht das Verstecken. Joan Tronto beschreibt, dass Fürsorge im weitesten Sinne aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen worden ist.(2 ) Ihre Definition von Sorge (Care) als, „alles, was wir tun, um unsere „Welt“ zu erhalten, fortdauern zu lassen und wiederherzustellen, sodass wir so gut wie möglich in ihr leben können.“, zeigt, wie Sorge wie Sorge in allen Bereiche des Lebens wirkt. „Diese Welt umfasst unseren Körper, unser Selbst und unsere Umwelt, die in einem komplexen, lebenserhaltenden Netz miteinander verflochten sind“.(3) Manifestation dieser Trennung und Grenze ist Architektur, in der gewohnt wird. Als Hauptakteurin meiner Arbeit habe ich deshalb ein Haus gewählt. Das Wohnhaus steht im Mittelpunkt, weil Fortpflanzung, Sexualität und Hausarbeit – das Herzstück der Reproduktion des täglichen Lebens und der Reproduktion der Arbeitskraft(4) – dort verortet sind. Mein Wohnhaus. Das Gebäude wurde 1899 errichtet, eingebettet in den 16. Wiener Gemeindebezirk, Ottakring und dessen Geschichte. Bevor das Haus in der Gründerzeit des aufstrebenden Wiens erbaut wurde, befand sich an Stelle dessen der Neulerchenfelder Friedhof.(5) 123 Jahre wird seitdem in diesem Haus gewohnt und gearbeitet.123 Jahre in denen vor allem FLINTA*-Personen, die Haus- und Sorgearbeit verrichten, bedeuten auch 123 Jahre Frauen*-Bewegung (6) in Österreich und weltweit. Die Art der Menschen zu leben und zu wohnen und somit die Arbeit der Reproduktion des täglichen Lebens, sowie die Bedingungen, unter denen diese Arbeit ausgeführt wird, sind Spiegel der gesellschaftlichen Organisation, und in stetigem Wandel. Bis heute ist die Verrichtung unsichtbarer und unbezahlter Sorgearbeit Ausdruck eines binären, von Ungleichheit geprägten Gesellschaftsmodells und muss deshalb neu verhandelt werden, auch aus räumlicher Perspektive.In meiner Diplomarbeit möchte ich die Veränderung von Architektur und Stadt durch das Innen (Raum in dem Sorge getragen wird) betrachten. Verlorengegangene Räume der Sorge wiederentdecken, schon gedachte aufspüren und neue erfinden. Architektur soll aus der feministischen Perspektive der Sorge mit Bezug auf das Jetzt, die Vergangenheit und die Zukunft interpretiert und kontextualisiert werden. Welche Bereiche der sorgenden Arbeit verschwinden über die Zeit aus dem Öffentlichen in das Private und benötigen dort Raum oder treten in das Öffentliche und werden sichtbar. Die Grenze zwischen sichtbar und unsichtbar verschiebt sich mit dem Wandel der Möglichkeiten und Konventionen. Das Ziel ist nicht, die Vergangenheit zu romantisieren. Jedoch ermöglicht das Historisieren und damit die Wahrnehmung der Veränderbarkeit, Sorge als eine kollektive, sichtbare, den öffentlichen Raum einnehmende Arbeit zu denken. Da „Sorge“ nicht ohne Grund als „Hyperobject“(7) bezeichnet wurde– Objekt, deren Ausdehnung über das menschliche Verständnis von Raum und Zeit hinausgeht, dient der gebaute Raum meines Wohnhauses als konkreter Gegenstand meiner Analyse und Interpretation, er ermöglicht Sorge zu verorten, fassbar und vor allem auch sichtbar zu machen.1 Vgl. Edit Collecitve, in: Arch+ Nr.246 Zeitgenössische feministische Raumpraxis, 2022, S.1062 Vgl. Toronto, J.: Demokratie als fürsorgliche Praxis, in: Feministische Studien extra, 2000, S.293 Vgl. Toronto J., Fisher B.: Toward a feminist Theory of Caring (Übers. d. Verf.), in: Abel, E. K. & Nelson, M. K., Circles of Care: Work and Identity in Women’s Lives. SUNY Press, 1990, S.404 Vgl. Chee, L., Federici, S.: „Wir brauchen Formen der Reproduktion, die uns nicht voneinander trennen““ Zeitgenössische feministische Raumpraxis, 2022, S. 685 Vgl. Kovarik, F.: 128 Jahre Ottakring, 2019, S.29 6 es wird Frau* verwenden, anstatt von Frau, um von der binären Geschlechterordnung abzurücken; Geschlechtergerechtigkeit nur erreicht werden kann, wenn Eigenschaften oder Räume nicht einem bestimmen Geschlecht zugeordnet werden und Geschlecht dekonstruiert wird7 Vgl. Zechner, M.: Füreinander sorgen, wie wir es gerne würden: Die sozial-ökologische Krise und unsere Care-Sackgasse. in: berliner festspiele, 2021: https://www.berlinerfestspiele.de/de/gropiusbau/programm/jour-nal/2021/manuela-zechner-to-care-as-we-would-like-to.html (abgerufen am 12.05.2023)