dc.description.abstract
In der vorliegenden Dissertationsarbeit werden verschiedenste Themengebiete behandelt, die alle unter "Wellenpropagation in komplexen Umgebungen" subsumiert werden können. Zunächst werden die Streutheorie in der klassischen Optik sowie die Grundlagen der Quantenoptik rekapituliert, bevor das Streuverhalten von quantenmechanischen Lichtzuständen durch komplexe lineare klassische Medien beschrieben wird, was rein mithilfe der klassischen Streumatrix möglich ist. Dieser Formalismus legt den Grundstein zur wichtigsten Kerngröße der Arbeit: dem Quanten-Wigner-Smith (QWS) Operator. Er stellt die quantenmechanische Verallgemeinerung der zuvor bekannten klassischen generalisierten Wigner-Smith-Matrix dar. Mit dem QWS-Operator lassen sich verallgemeinerte Kräfte (Impulsübertrag, Drehimpulsübertrag, Druck) beschreiben, die Quantenlicht auf klassische Zielobjekte ausübt. Dabei werden nicht nur die Quanteneigenschaften des Lichtes, sondern zugleich auch seine räumliche Struktur berücksichtigt. Die einzige physikalische Größe, die man zum Aufstellen des QWS-Operators benötigt, ist die klassische Streumatrix, die experimentell im Fernfeld messbar ist, sowie ihre Abhängigkeit vom entsprechenden lokalen Parameter. Daraus lässt sich auf den Effekt von Quantenlicht im Nahfeld (in der Nähe des Zielobjektes) schließen. Der entwickelte Formalismus erlaubt es, quantenmechanische Lichtzustände zu identifizieren, die eine optimale Wirkung (möglichst große Kraft, möglichst geringe Kraft, möglichst wenig Quantenrauschen in der Kraft) auf das Zielobjekt haben. Befindet sich das Lichtfeld im Vakuumzustand, so liefert der Formalismus auf natürliche Weise die Vakuumbeiträge zu den Kräften, die auch als Casimir-Kräfte bekannt sind. Eine weitere Anwendung des QWS-Operators besteht in der Quanten-Metrologie. Für reine Zustände ist die Varianz des QWS-Operators proportional zur Quanten-Fisher-Information (QFI), die wiederum Auskunft darüber gibt, wie präzise ein Parameter des Streusystems (z.B. die Position eines Streuers oder seine Orientierung) gemessen werden kann. Die Optimierung der QFI bestimmt — selbst in komplexen, offenen Streusystemen — wie die räumliche Struktur und die Quantenfreiheitsgrade des Lichtes gestaltet sein müssen, um die physikalisch bestmögliche Messgenauigkeit zu erreichen. Für klassisches, kohärentes Licht kann sogar ein räumlicher Fluss von Fisher-Information definiert werden. Dieser erfüllt eine Kontinuitätsgleichung, d.h. die Quellen und Senken der Fisher-Information sind eindeutig identifizierbar, und abseits davon ist die Fisher-Information eine Erhaltungsgröße, die durch die Propagation des Lichtes durch ein stark streuendes Medium weder verringert noch erhöht wird. Abseits von der Schätzung kontinuierlicher Parameter werden klassische, kohärente Lichtzustände identifiziert, die mit minimaler Fehlerwahrscheinlichkeit unterscheiden können, in welchem von zwei möglichen Konfigurationen sich das Streumedium befindet. Das ermöglicht es zum Beispiel, im Streusystem eingelagerte Elemente mit äußerst geringer Lichtintensität zuverlässig zu erkennen. Darüber hinaus wird die Propagation von Ultraschallwellen durch komplexe Medien (wie z.B. menschliches Gewebe) untersucht. Auf Basis theoretischer Überlegungen werden neue nicht-invasive Methoden vorgeschlagen, die die Identifikation und Lokalisierung von bestimmten Strukturen (z.B. Einlagerungen) ermöglichen, die tiefer unter der Oberfläche (Haut) liegen, als es mit bisherigen Methoden möglich war. Die Prozedur wird im Rahmen von Experimenten an Modellsystemen überprüft. Nicht zuletzt werden Projekte im Bereich des maschinellen Lernens vorgestellt, die der Autor dieser Dissertation im Rahmen seines Doktoratsstudiums betreut hat. Drei der Projekte befassen sich mit Problemen, die bei der Propagation von Wellen in komplexen Medien auftauchen und mithilfe künstlicher neuronaler Netzwerke zufriedenstellend gelöst werden können. In einem weiteren Projekt werden Machine-Learning-Methoden zum bestmöglichen Schätzen von Parametern benutzt, die sich auf klassische Objekte beziehen, die sich hinter einem stark streuenden Diffuser befinden. Das abschließend dargestellte Projekt untersucht — inspiriert durch den räumlichen Fisher-Informations-Fluss, der von elektromagnetischen Wellen getragen wird — wie sich Information durch künstliche neuronale Netzwerke ausbreitet und wie die dadurch gewonnenen Einsichten verwendet werden können, um solche Netzwerke effizienter trainieren zu können. Das vereinheitlichende Rahmenwerk, welches in der vorliegenden Dissertation vorgestellt wird, bringt verschiedene Perspektiven in Einklang und schlägt so eine Brücke zwischen verschiedenen Gebieten der Wellenphysik, die bisher vergleichsweise separat betrachtet wurden. Dazu zählen der Streumatrix-Formalismus, Wellenkontrolle, Mikromanipulation, bildgebende Verfahren, Quantenoptik, Quantenmetrologie und Vakuumphysik.
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