Batur, K. (2022). Emergencyscape: Politics of disaster risk and urban renewal in Istanbul [Dissertation, Technische Universität Wien]. reposiTUm. https://doi.org/10.34726/hss.2022.52243
Dieses Projekt folgt der fragilen und historisch kontingenten Beziehung zwischen Katastrophenrisiken und räumlicher Produktion; es durchstreift dabei diskursive, antizipatorische, architekonische, juridische, administrative und finanzielle Praktiken der Reduzierung von Katastrophenrisiken; es analysiert die Zirkulation der Produkte derselben anhand verschiedener Formen von Aufzeichnungen, v.a. Dokumenten, und auch anhand einer räumlichen Analyse des Falls von Istanbuls Erneuerungsprozess – betrachtet als eine Praxis der Bereitschaft für das erwartete Erdbeben. Eine übergreifende Wirkung der oben genannten Beziehung ist das Gefühl, in einem Ausnahmezustand zu sein – ein Gefühl mit dem wir mittlerweile auch in anderen Städten, v.a. aufgrund der aktuellen Pandemie und der Klimakrise, vertraut sind. Ein Ausnahmezustand ist allerdings nicht ein unvermitteltes kollektives Gefühl, eine faktische Situation, die uns zu einer außergewöhnlichen Reaktion nötigt. Es ist aber auch keine rein hierarchisch vollzogene souveräne Strategie, die eine Bedrohung instrumentalisiert oder sogar hervorbringt, um etwa andere Ziele zu erreichen. Wie dieses Projekt zeigen soll, ist der Ausnahmezustand vielmehr der Effekt eines Gefüges, das ich emergencyscape genannt habe. Es beinhaltet ein weites Spektrum von Praktiken konkurrierender, einander widersprechender, sich ergänzender oder miteinander kooperierender Akteure in multiplen Feldern, die versuchen, die Frage nach der zukünftigen Sicherheit und des Wohlstands der Stadt anzusprechen. Der Ausnahmezustand erfordert eine komplexe Beziehung mit einer Zukunft, in die wir zugleich besorgt und hoffnungsvoll blicken: Einerseits das Gefühl, bedroht zu sein, gezwungen sein unter Zeitdruck zu handeln; andererseits das Gefühl die Möglichkeit zu haben, den bedrohenden Charakter der Situation zu reduzieren, vielleicht sogar der Wunsch, es in eine Gelegenheit zu verwandeln. Während dieses Prozesses in den letzten beiden Jahrzehnten hat sich der Staat immer mehr durch seine Kapazität definiert, seinen Bürger*innen Schutz vor Naturkatastrophen zu gewähren. Die Identifizierung von Vulnerabilität und die Forderungen nach Schutz sind zwei zentrale Anliegen in diesem Sinne, die die Legitimität und Reichweite des Staates erneuert und erweitert haben. Nur Schutz und Vulnerabilität, Hoffnungen und Ängste sind nicht gleichermaßen verteilt zwischen den Bewohner*innen einer Stadt: Während für Einwohner*innen in prekären Situationen sich eine urbane Erneuerung, die im Grunde Sicherheit verspricht, in eine Bedrohung verwandelt; gibt es für andere, bessergestellte Bewohner*innen Versprechen jenseits von Sicherheit. Dieses Projekt will durch die Einführung des Begriffs biocare versuchen, die Frage nach der Reproduktion von Ungleichheit durch diese komplexen Mechanismen in die biopolitische Diskussion einzubringen.
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This project traces the fragile and historically contingent relationship between disaster risks and spatial production by visiting the fields of discursive, anticipatory, architectural, juridical, administrative, and financial practices of disaster risk reduction and analyzing the circulation of their products through diverse forms of records, especially documents, and spatial analysis in the case of Istanbul’s urban renewal process as preparedness practice to the anticipated earthquake. An overall effect of this contingent relationship is the sense of being in an emergency which is familiar to us in other cities from the contemporary experience of pandemic and the climate change. Emergency is, however, not just an unmediated collective feeling, a factual situation requiring exceptional response, nor a top-down sovereign strategy instrumentalizing the threat or even producing it to achieve other aims. As this project will show, emergency is an effect of assemblage that I call emergencyscape entailing a wide range of practices by multiple contesting, conflicting, complementing, or cooperating actors in multiple fields in their attempts to address the question of future safety and prosperity in the city. Emergency requires a complex relationship with the future that one looks at fearfully and hopefully simultaneously: the sense of being threatened, being urged to act, having limited time to respond, but also the sense of having the possibility to reduce the threatening character of the situation, if not desiring to turn it into an opportunity.Throughout this process, in the last two decades the state has been defined increasingly by its capacity for the provision of safety to its citizens against natural disasters. The identification of vulnerability and the demands for care are two central concerns in this regard, renewing and extending the legitimacy and reach of the state. Care and vulnerability, hopes and fears are, however, distributed throughout the process unevenly among the inhabitants of the city: for the precarious inhabitants, urban renewal, which promises safety, is turned into threats, while for other, well-off inhabitants, promises are extended beyond safety. This project offers the notion of biocare to bring the question of the reproduction of inequality through these complex mechanisms into thediscussions of biopolitics.