Merz, S. (2015). Umweltradioaktivität nach dem Unfall von Fukushima [Dissertation, Technische Universität Wien]. reposiTUm. https://doi.org/10.34726/hss.2015.32267
Am 11.März 2011 löste ein Beben vor der japanischen Ostküste einen Tsunami aus, dessen Wellen an der Küste Japans zu Überflutungen bis zu 10 km weit in das Landesinnere führten. Im Fall des Kernkraftwerks Fukushima Dai-ichi zerstörten die Überschwemmungen die Stromversorgung und die Notfallgeneratoren des Kernkraftwerks, weshalb die Kühlung der Reaktoren nicht aufrecht erhalten werden konnte. Aufgrund der nichtabgeführten Nachzerfallswärme kam es in Folge temperaturbedingt zum Auftreten einer Redox-Reaktion zwischen dem Zirkonium der Hüllrohre des Brennstoffs und Wasserdampf. Die so entstandenen großen Mengen an Wasserstoff vermischten sich mit dem Luftsauerstoff in den Reaktorgebäuden und gelangten durch minimale Energiezufuhr zur Explosion. Auf diese Weise wurden radioaktive Gase und flüchtige Radionuklide in die Umwelt freigesetzt. Die Identifikation der Freisetzungsquellen und die Feststellung des Ausmaßes der Freisetzung sind international sowohl aus politischer als auch aus strahlenschutztechnischer Sicht von großer Bedeutung. Wichtige Ziele der radioanalytischen Betrachtung von Umweltproben sind im Allgemeinen die Feststellung der Herkunft, des Alters und die Bestätigung der Authentizität des radioaktiven Materials. Um die Signatur der Radionuklidfreisetzung zu plausibilisieren und die Differenzierbarkeit der einzelnen Freisetzungsereignisse zu untersuchen, wurde die zeitliche Entwicklung und die räumliche Verteilung der 134Cs/137Cs-Aktivitätskonzentration in japanischen Lebensmittelproben analysiert. Die Lebensmittelproben, die im Zuge der in Japan durchgeführten Lebensmittelüberwachung gewonnen wurden, konnten so als geographisch gut lokalisierte und einfach zugängliche Umweltproben eingesetzt werden. Um die Aussagekraft der gewonnen Erkenntnisse zu beurteilen, wurden diese mit den Ergebnissen unabhängiger Studien verglichen. Die Betrachtung der kumulierten 134Cs- und 137Cs-Aktivitätskonzentration der japanischen Lebensmittelproben, zugeordnet zu ihrem Herstellungsort, gab Aufschluss darüber, auf welche Präfekturen der Unfall von Fukushima Dai-ichi die größten Auswirkungen hatte. Eine Auftrennung in die einzelnen Lebensmittelarten und die Analyse der zeitlichen Entwicklung der Radiocäsiumkonzentrationen ermöglichte die Identifikation jener Nahrungsmittel, die aus radioökologischer Sicht einen besonders sensiblen Organismus aufweisen. Die Ergebnisse ließen auch Rückschlüsse über die Relevanz von Akkumulationseigenschaften der Lebensmittel, Aufnahmepfaden und Einflussmöglichkeiten des Menschen auf die Erzeugung zu. Um eine Aussage über die Langzeitentwicklung von 90Sr-Aktivitätskonzentrationen in Lebensmitteln und dessen gesundheitsgefährdendes Potential ableiten zu können, wurde auf Lebensmittelproben, die aus der Zeit vor dem Reaktorunfall stammen, zurückgegriffen. Die Analyse von Stichproben der japanischen Lebensmittelüberwachung und von kontinuierlich gewachsenen Messreihen lieferte Einblicke in die relevanten Aufnahmemechanismen. Die Ergebnisse offenbarten im Zusammenhang der Lebensmittelsicherheit Abweichungen zwischen den tatsächlich auftretenden 90Sr/137Cs-Aktivitätsverhältnissen und dem im Zuge der gültigen Verordnungen angenommenen impliziten Verhältnis zwischen 90Sr und 137Cs. Um das Ausbreitungsverhalten der kontaminierten Luftmassen, die Deposition von Radionukliden und die mögliche Gesundheitsgefährdung aufzuarbeiten, wurden Luft-, Regen-, Boden- und Grasproben aus Österreich genommen und auf Daten von kooperierenden Einrichtungen zurückgegriffen. Die Analyse der zeitlichen Entwicklung unter Berücksichtigung der geografischen Verteilung ermöglichte den Vergleich mit internationalen Ausbreitungsstudien und brachte neue Erkenntnisse über die Lokalisierung des radioaktiven Materials im Transportmedium. Um die durchgeführten Studien zu testen, wurde das Hybrid Single Particle Lagrangian Integrated Trajectory (HYSPLIT) Model der National Oceanic and Atmospheric Administration-Air Resources Laboratory (NOAA-ARL) benutzt. Im Zuge der vorliegenden Arbeit konnten in Österreich genommene Schilddrüsenproben als alternative Biomonitore genutzt und deren Leistungsfähigkeit mit z.B. von der Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization (CTBTO) als Standard verwendeten Radioiodmessungen mittels Luftfilter verglichen werden. Die Messergebnisse lieferten Erkenntnisse über die Relevanz der Aufnahmemechanismen wie Ingestion und Inhalation, den Einfluss der Nahrung der Tierarten und auch über das Ausmaß der gesundheitlichen Gefährdung. Eine Gegenüberstellung der Entwicklung der 131I-Aktivitätskonzentration in verschiedenen Umweltproben verdeutlichte die Vor- und Nachteile betreffend räumlicher und zeitlicher Auflösung, Dauer der Nachweisbarkeit, Verfügbarkeit und Messaufwände der unterschiedlichen Radionuklidmonitore. Eine Verifikation der gewonnenen Erkenntnisse konnte anhand eines zweiten unabhängigen Freisetzungsereignisses im Herbst 2011 in Ungarn durchgeführt werden. Für ausgewählte Lebensmittel- und Umweltproben wurde anhand der gesetzlichen Vorgaben das Gefahrenpotential eingestuft. Für ein intuitiv besseres Verständnis wurde die Größe der jährlichen Tageskonsumation eingeführt und die Aktivitätskonzentrationen verschiedener Lebensmittelproben aus Japan und Österreich und die gültigen gesetzlichen Grenzwerte diskutiert. Im Zuge der Diskussion der Entwicklung der gesetzlichen Regulatorien wurden diverse Unstimmigkeiten entdeckt. Dies betraf die Wahl der Grenzwerte, die Annahmen bezüglich des Lebensmittelwarenkorbes, das implizite Auftreten und die Entwicklung von 90Sr-Aktivitätskonzentrationen in Nahrungsmitteln und die zukünftige Anwendbarkeit der gültigen Verordnungen. Neben den radiologischen Folgen stellen auch die psychischen und sozialen Auswirkungen eines Reaktorunfalls, welche in einem Überblick thematisiert wurden, eine große Belastung der betroffenen Bevölkerung dar.
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On 11th March 2011 an earthquake in the Pacific Ocean located east of the Japanese coast led to a tsunami that caused flooding of the Japanese coast up to 10 km towards inland. In the case of the Fukushima Dai-ichi nuclear power plant the flooding caused the destruction of the electric power supply and the emergency power units of the facility. For that reason the cooling of the reactors was no longer ensured. Due to the decay heat a redox reaction between the zirconium of the fuel cladding and water vapor occurred. This led to the build-up of large amounts of hydrogen that mixed with the oxygen inside of the reactor buildings and came to an explosion after minimal energy input. In this way radioactive gases and volatile radionuclides were released into the environment. Source identification and determination of the release extent are highly important for both political as well as radiation security reasons worldwide. Important goals of the radioanalytical examination of environmental samples are the identification of the origin, age, and the confirmation of the authenticity of the radioactive material. For verifying the signature of the radionuclide release and for investigating the differentiability of the individual release events, the temporal development and the areal distribution of the 134Cs/137Cs activity ratio in Japanese foods were analyzed. The food samples that were collected in Japan in the course of the local food monitoring campaign, were utilized as geographically well-localized and easily accessible environmental samples. The significance of the gained findings could be evaluated by comparing them with the results of independent studies. The examination of the cumulative 1334Cs and 137Cs activity concentration of the Japanese food samples, distinguished with respect to the place of production, gave information about which prefecture suffered the strongest impact of the Fukushima nuclear accident. A distinction between the different types of foods and the analysis of the temporal development of the radiocesium activity concentration allowed for the identification of foods that exhibit a radioecologically sensitive organism. The results also allowed conclusions about the relevance of accumulation characteristics of the foodstuffs, absorption pathways and the influence of humans on the production. For deducing a conclusion about the long-time development of the 90Sr activity concentration in foodstuffs and its harmful potential, foods, that were sampled prior to the nuclear accident, were accessed. The analysis of control samples of the Japanese food monitoring program and continuously increased test series provided an insight into the relevance of the absorption mechanism. With respect to food safety the results revealed deviations between the actually occurring 90Sr/137Cs activity ratios and the assumptions about the implicit ratio between 90Sr and 137Cs that were taken in the course of the effective regulations. Air, rain, soil and grass samples were taken in Austria and data from cooperating institutions was accessed to investigate the dispersion of contaminated air masses, the deposition of radionuclides and the potential health risks. The analysis of the temporal development in consideration of the geographic distribution allowed for the comparison with international dispersion studies and revealed new findings on the localization of the radioactive material within the transport medium. In order to test the hypothesis made in the course of this study, the Hybrid Single Particle Lagrangian Integrated Trajectory (HYSPLIT) Model of the National Oceanic and Atmospheric Administration-Air Resources Laboratory (NOAA-ARL) was used. In the course of the current studies, thyroid samples of Austrian wild animals could be used as alternative biomonitor and their performance could be compared amongst others with the radioiodine measurement via air sampling which is utilized by the Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization (CTBTO) as standard procedure. The results provided insight into the relevance of absorption mechanisms such as ingestion and inhalation, the impact of the nourishment of the different species and the extent of the health hazard. The comparison of the development of the 131I activity concentration of the different environmental samples clarified the advantages and the disadvantages concerning areal resolution, duration of traceability, availability and measuring expenditure of the various radionuclide monitors. The gained knowledge could be verified on the basis of a second independent release event that occurred in fall 2011 in Hungary. The health risks of selected food and environmental samples were assessed by means of the effective legal regulations. To provide for an intuitive and better understanding, the quantity of the annual daily consumption was introduced and the activity concentrations of different Japanese and Austrian food samples and the effective regulatory limits were discussed. In the course of the examination of the development of the legal regulations various disagreements were discovered. This affected the choice of the regulatory limits, assumptions concerning the food basket, the implicit occurrence and the development of 90Sr activity concentrations in foods and the future applicability of the effective regulations. In addition to the radiologic consequences the mental and social aftermath of a nuclear accident, that was discussed at a glance, are a great burden to the affected population as well.
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Additional information:
Zusammenfassung in englischer Sprache Parallelt. [Übers. des Autors]: Environmental radioactivity after the Fukushima accident