Schöll, J. (2017). Das österreichische Fruchtgenussrecht und seine Bewertung [Master Thesis, Technische Universität Wien]. reposiTUm. https://doi.org/10.34726/hss.2017.45053
Das mit ihrer Wertsteigerung verbundene wachsende Interesse an Immobilien hat auch vor alternativen Herrschaftsformen wie dem Fruchtgenussrecht nicht haltgemacht. Zu Letzt stand das Fruchtgenussrecht in Form von Vorbehaltsfruchtgenüssen wieder im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit, als viele Familienimmobilien noch schnell an die nächste Generation übergeben wurden, bevor die neue Bemessungsgrundlage für die GrESt mit Jänner 2016 schlagend wurde. Um im Lebensabend allerdings weiterhin abgesichert zu sein, behielt man sich bei Übertragung der Immobilien ein Fruchtgenussrecht zurück. Eine solche Konstruktion, wonach die Früchte nicht dem Eigentümer der Immobilie zukommen, ist Wesensmerkmal des Fruchtgenusses. Regelmäßig stehen deshalb steuerliche Motive hinter der Begründung von Fruchtgenussrechten, da durch erfolgreiche Änderung der Einkünftezurechnung sich auch der Steuersatz ändern lässt. Zur steuerlichen Behandlung von Fruchtgenüssen besteht umfangreiche Literatur. Für die Bewertung eines Fruchtgenussrechtes bzw. einer mit einem Fruchtgenussrecht belasteten Immobilie spielen diese steuerlichen Aspekte allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr ist entscheidend welche Rechte und Pflichten den Fruchtnießer bzw. den Eigentümer wirtschaftlich treffen, somit der Umfang und die Grenzen des Fruchtgenusssrechtes. Doch genau dazu ist Fachliteratur rar, weshalb im ersten Teil dieser Arbeit die Rechtsstellung des österreichischen Fruchtnießers dargestellt wird. Dabei zeigt sich, dass die mögliche Bandbreite enorm ist. Kaum eine Regelung des betreffend Fruchtgenussrechte ist zwingend und selbst die bestehenden dispositiven Grundlagen weisen teilweise einen erheblichen Interpretationsspielraum auf. Insbesondere die Lastentragung von erforderlichen Reparaturen und das Ausmaß der Erhaltungspflicht sind dabei für die Bewertung von zentraler Bedeutung, können allerdings nicht verallgemeinernd dem Fruchtnießer oder dem Eigentümer zugerechnet werden. Besteht keine eindeutige vertragliche Grundlage muss ein Bewerter somit relativ umfangreiche Kenntnisse betreffend die österreichische Rechtslage zu Fruchtgenussrechten besitzen und eine fundierte Sachverhaltserhebung durchführen, um ein Fruchtgenussrecht bzw. eine mit einem Fruchtgenussrecht belastete Liegenschaft bewerten zu können. Nach umfangreicher Befundung stehen einem Bewerter sodann prinzipiell unterschiedliche Bewertungsansätze offen. Bei der Auswahl des richtigen Ansatzes hat sich der Bewerter vom Stand der Wissenschaft leiten zu lassen, wobei dazu allerdings selbst in der bisherigen Fachliteratur unterschiedliche Methoden vertreten werden. Zentral für ein ordnungsgemäßes Herangehen an das Thema ist dabei die eigenständige Bewertung, sowohl des Fruchtgenussrechtes, als auch der belasteten Liegenschaft. Der Wert der Belastung entspricht nicht ceteris paribus dem Wert des belastenden Rechtes. Ein Bewerter muss sich vielmehr in die jeweilig zu bewertende Position hineinversetzen. Dadurch wird bei Sachwertimmobilien regelmäßig ein unterschiedlicher Bewertungsansatz bei Fruchtgenussrecht und belasteter Liegenschaft vorliegen. Der Wert des Fruchtgenusses kann oft auf Basis einer fiktiv ersparten Miete widergespiegelt werden [Kap. C. iv. b) Bewertungsansatz 1)], wohingegen für den Eigentümer grundsätzlich der anteilige Nutzenverlust an seiner Sache ausschlaggebend ist [Kap. C. iv. a) Bewertungsansatz 2)]. Bei Ertragswertimmobilien ist die Bewertung von Fruchtgenussrechten bzw. mit ihnen belasteten Liegenschaften zumeist etwas komplizierter, wobei die theoretischen Grundlagen allerdings vergleichbar einfach sind. Der Fruchtnießer hält grundsätzlich eine mittels Ertragswertverfahren bewertbare Rechtsposition [ Kap. C. v. a)], wohingegen dem Eigentümer, insbesondere abhängig von der Dauer des Fruchtgenussrechtes, entweder ein fiktiver Restwert nach Beendigung der Fruchtgenussperiode zugerechnet werden kann [Kap. C. v. b) Bewertungsansatz 2)] oder schlicht vom Wert der unbelasteten Liegenschaft der Ertragsentgang abgezogen wird um dies als Grundlage für die Bewertung heranzuziehen [ Kap. C. v. b) Bewertungsansatz 1)]. Nach der Wahl des richtigen Bewertungsansatzes ist im Zusammenhang mit Fruchtgenussrechten allerdings eine besonders detaillierte, konzentrierte und reflektierte Auseinandersetzung mit der zu bewertenden Rechtsposition erforderlich. Denn einzelne Parameter wie Marktanpassung, Restnutzungsdauer oder Diskontierungszinssatz spielen im Zusammenhang mit Fruchtgenussrechten eine wohl einzigartige Rolle mit wesentlichen Auswirkungen auf eine sachgemäßes Bewertungungsergebnis.