Huber, P. (2016). Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit bestehender Stahlbeton- und Spannbetonbrücken [Dissertation, Technische Universität Wien]. reposiTUm. https://doi.org/10.34726/hss.2016.36366
Die Erhaltung bestehender Brückentragwerke bildet eines der Kerngeschäfte in der täglichen Ingenieurspraxis. Neben den visuellen Beobachtungen am Bauwerk stellt eine statische Nachrechnung einen wichtigen Bestandteil einer Neubeurteilung der Tragfähigkeit dar. Aufgrund der geänderten Normensituation sowohl auf der Einwirkungs- als auch auf der Widerstandsseite muss dabei vor allem der Bewertung der Querkrafttragfähigkeit eine tragende Rolle zugesprochen werden. Mit der vorliegenden Arbeit wird daher versucht, zu einem besseren Verständnis des Querkrafttragverhaltens von Stahlbetontragwerken ohne Querkraftbewehrung sowie Stahlbeton- und Spannbetonträgern mit geringem Schubbewehrungsgrad beizutragen. Durch den gezielten Einsatz der Nahbereichsphotogrammetrie konnte das Rissönungsund Rissgleitungsverhalten des kritischen Schubrisses kontinuierlich an einer umfangreichen Versuchsreihe an Stahlbeton- und Spannbetonträgern ohne und mit Querkraftbewehrung untersucht werden. Somit war es auf Basis anerkannter konstitutiver Gesetze, der Rissverläufe sowie der gemessenen Risskinematik möglich, einen Rückschluss auf die verschiedenen Querkrafttragmechanismen im Bruchzustand zu ziehen. Darüber hinaus konnten die experimentellen Untersuchungen für eine Überprüfung normativer Bemessungsansätze herangezogen werden. Da sich bei den Versuchen an Spannbetonträgern mit geringem Schubbewehrungsgrad bei Anwendung des aktuellen Normenstands die größten Tragreserven zeigen und diese Bauteile im Zuge einer Nachrechnung sehr häufig ein rechnerisches Defizit in der Querkrafttragfähigkeit aufweisen, liegt das Hauptaugenmerk dieser Arbeit auf der Erstellung eines analytischen Berechnungsansatzes, welcher das Schubtragverhalten dieses Tragwerktyps passend wiedergeben kann. Dabei wird ein Konzept neu aufgegrien, welches die Nachweisführung in verschiedene Bereiche in Abhängigkeit der auftretenden Rissbildung einteilt. Da sich das Querkrafttragverhalten in den einzelnen Zonen grundlegend voneinander unterscheidet, kommt in den maßgebenden Bereichen ein dem jeweiligen Tragverhalten entsprechendes Berechnungsmodell zum Einsatz. Im unter Biegung gerissenen Bereich wird ein Ansatz vorgeschlagen, welcher der Druckzone - neben den Traganteilen der Querkraftbewehrung und der Vertikalkomponente infolge der Spannkraft - einen wesentlichen Tragmechanismus zuspricht. Die Druckzone ist dabei solange imstande Querkräfte zu übertragen bis ein kritischer biaxialer Spannungszustand erreicht ist. Ein Vergleich dieses Modells mit insgesamt 50 Versuchsergebnissen konnte hierbei zeigen, dass der entwickelte Ansatz die erzielten Querkraftwiderstände sehr gut abbilden kann. Im Bereich, welcher infolge von Biegung ungerissen bleibt, kann im ersten Schritt ein Hauptzugspannungsnachweis im Zustand I geführt werden. Bei Überschreitung der zulässigen Grenzspannung muss von einer Schrägrissbildung im Stegbereich ausgegangen werden. Dieser überdrückte Bereich ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass sich auch bei schlanken Bauteilen unter gleichmäßiger Belastung ein Druckbogen bzw. bei punktueller Belastung ein Sprengwerk ausbilden kann. Aus dem vertikalen Anteil dieses geneigten Druckgurts ergibt sich eine erhebliche Querkrafttragkomponente. Es wird daher ein Ansatz präsentiert, welcher diesem Tragmechanismus ein Querkrafttragvermögen zutraut. Die statische Nachrechnung von zwei Spannbetonbrücken mit geringem Schubbewehrungsgrad zeigt zudem das Potential des hergeleiteten Ansatzes auf. Während eine Beurteilung der Querkrafttragfähigkeit nach dem aktuellen Normenstand (Eurocode 2) eine teure und aufwändige Ertüchtigung beider Brückenobjekte ergeben würde, kann die Schubtragfähigkeit auf Basis der im Zuge dieser Arbeit entwickelten Berechnungsmodelle in den maßgebenden Bereichen nachgewiesen werden.
de
The maintenance of existing bridge structures is one of the major fields of activity in practical engineering. An important part in the assessment of the load bearing capacity is the structural reanalysis in addition to the visual in situ observation. The evaluation of the shear strength plays a decisive role due to significant changes on the load and resistance side. The present thesis aims at contributing to a better understanding of the shear behavior of reinforced concrete structures without transverse reinforcement as well as reinforced and prestressed concrete elements with a low amount of shear reinforcement. The crack opening and sliding behavior of the critical shear crack could be tracked within the framework of an extensive test series on reinforced and prestressed concrete beams without and with stirrups with the targeted use of close-range photogrammetry. It was possible to draw a conclusion on the various shear-transfer mechanism at failure based on approved constitutive approaches, the crack shapes as well as the measured crack kinematics. Furthermore the results of the experiments were used for an evaluation of several codes of practice. The shear tests showed that the post-tensioned concrete girders with a low amount of shear reinforcement oer considerable additional load bearing capacity. Since these elements are often unable to meet current standard requirements regarding the shear strength, the main focus of the thesis lies on the development of an analytical shear model in order to describe the shear behavior of these structures more realistically. For this purpose, a concept is reconsidered, which divides the analysis in various areas depending on the crack formation. Due to the fact that the shear carrying behaviour is completely dierent in each section, the formulation of particular shear models corresponding to the actual behaviour is needed. In the area with flexural cracks an approach is proposed, where the compression zone is able to carry a notable amount of shear in addition to the shear resistance of the transverse reinforcement and the vertical component of an inclined tendon. The compression zone is thereby able to transfer shear forces until a certain critical biaxial stress state is reached. A comparison of the model with the results of altogether 50 shear tests could point out, that the proposed approach is able to reflect the achieved shear carrying capacity. In the section, where no bending cracks occur, the analyses can be performed on the basis of a principle stress calculation in the uncracked state. If the resulting tensile stresses exceed the proposed stress criterion, it must be assumed, that shear cracking will develop in the web. This zone is also characterized for slender beams by a pronounced arch action in the case of uniform loads or truss action in the case of point loads. The vertical component of this inclined compression chord can result in a significant shear strength. Due to this, an approach is presented, where the shear carrying mechanism of the inclined compression chord is taken into account. The assessment of two post-tensioned concete bridges with a low amount of transverse reinforcement demonstrates the potential of the developed approach. While the analysis of the shear strength according to the current standard (Eurocode 2) would lead to an expensive and complex retrofitting, the use of the proposed methodology is able to provide sufficient shear resistance.