Karic, A., & Kolbitsch, A. (2020). Gründerzeitliche Mauerwerksbauten unter Erdbebeneinwirkung – Tragverhalten im Widerspruch zur aktuell angewandten Nachbemessung. Mauerwerk: european journal of masonry, 24(3), 137–147. https://doi.org/10.1002/dama.202000009
Die Standsicherheit historischer Mauerwerksbauten muss nicht nur bei gewöhnlichen Einwirkungen, sondern auch während Naturkatastrophen gewährleistet sein. Die seismische Bestandsbewertung der gründerzeitlichen Bausubstanz in Wien ist ein zentrales Thema in der qualitativen sowie konstruktiven Tragwerksbeurteilung. Obwohl der Mauerwerksbau seit vielen Jahrhunderten Anwendung findet, stellt die realistische Tragwerksbewertung eine hochkomplexe Herausforderung dar. Die nach aktuellen Regelwerken zur Nachbemessung herangezogenen Berechnungsmethoden vermögen nur unzureichend das reale Tragverhalten sowie die mögliche Aktivierung der globalen Versagensmechanismen wiederzugeben. Dies führt dazu, dass vereinfachte Nachweise rechnerisch oftmals nur schwer gelingen und zur Kompensation fragwürdige Verstärkungsmaßnahmen ergriffen werden, obwohl der Altbestand bereits einige Beben erlebt und überwiegend schadfrei überstanden hat. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit den aktuell zur Erdbebennachbemessung verwendeten Ansätzen und verfolgt den Zweck, Problempunkte aufzuzeigen und sie einem leistungsfähigen, an Versuchsreihen gestützten Materialmodell zur räumlichen Tragwerksanalyse des historischen Altbestandes gegenüberzustellen. Es wird gezeigt, dass die herkömmlichen Berechnungsmethoden für den gemauerten Altbestand ohne Berücksichtigung der Interaktions- und Lastumlagerungseffekte sowie der charakteristischen Konstruktionsweise das reale Tragverhalten nur teilweise abbilden. Die Arbeit soll einen Beitrag zur technischen Fachdiskussion zur Erdbebensicherheit des Altbestandes darstellen sowie die Diskussion zur Formulierung realistischer Berechnungsmodelle beleben.