Cilia Lichtenberg. (2021). Das Erbbaurecht als Beitrag zum gemeinschaftlichen Wohnbau in Deutschland. In A. Holm & C. Laimer (Eds.), Gemeinschaftliches Wohnen und selbstorganisiertes Bauen (pp. 99–109). TU Wien Academic Press. https://doi.org/10.34727/2021/isbn.978-3-85448-044-0_8
Die Preise für Grund und Boden und in der Folge auch die Kosten für Immobilien und Miete sind in Deutschland innerhalb der letzten Jahrzehnte stark angestiegen und stellen insbesondere die Stadtbevölkerung vor eine steigende Wohnkostenbelastung. Die steigenden Kosten für Boden verdeutlicht Heribert Prantl 2019 in der Süddeutschen Zeitung: Seit 1962 sind die Baulandpreise um 2.300 Prozent gestiegen. Diese Preissteigerungen bilden jedoch nur die durchschnittlichen Preise in Deutschland ab – sowohl in Städten als auch auf dem günstigeren Land. In der Stadt München hingegen stiegen die Preise für Bauland seit 1950 um ganze 39.400 Prozent (Prantl 2019). Und auch eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt-, und Raumforschung (BBSR) von 2017 zeigte auf, dass die aktuellen Baulandpreise in Deutschland den größten Kostentreiber beim Wohnungsbau darstellen und folglich die Entstehung von leistbarem Wohnungsbau behindern (BBSR 2017: 5). Untere Einkommensgruppen, darunter sind auch gemeinschaftliche sowie selbstorganisierte Wohngruppen anzusiedeln, können sich dadurch nur sehr erschwert mit leistbarem Wohnraum versorgen. Die steigenden Boden- und Wohnungspreise in den letzten Jahren führten dazu, dass der Umgang mit Grund und Boden im deutschen Planungssystem wieder Eingang in die Diskussion gefunden hat. Dabei wird das Erbbaurecht als eine Lösung diskutiert, Einfluss auf die steigenden Boden- und Wohnungspreise zu nehmen. Das Erbbaurechtsgesetz trennt Boden und Gebäude und ermöglicht durch die regelmäßige Zahlung eines Erbbauzinses die befristete Überlassung des Bodens, um darauf ein Haus zu bauen oder zu besitzen. Vom Erbbaurecht können alle Grundeigentümer* innen Gebrauch machen, traditionell wird es jedoch besonders von Kommunen und Kirchen genutzt (Lichtenberg 2020). Eingebracht in die Diskussion wurde das Erbbaurecht ab Mitte der 2010er-Jahre, beispielsweise durch die Roadmap Bodenpolitik – Bodenpolitische Agenda 2020– 2030, die 2017 vom Deutschen Institut für Urbanistik (difu) und dem Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e. V. (vhw) mit vielen Partner*innen veröffentlicht wurde. Darin fordern sie die Kommunen auf, eine aktive Bodenpolitik umzusetzen, um ihre verloren gegangenen Steuerungsmöglichkeiten zurückzugewinnen. Bodenbevorratung und Zwischenerwerb mit Hilfe des Erbbaurechts stellen eine weitere Kernforderung dar (difu/vhw 2017). Gleichzeitig erschien die PlanerIn, die Zeitschrift der Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SRL), die sich mit der „Bodennutzung“ beschäftigte und ebenfalls stärkere Nutzung von Erbbaurechten forderte (SRL 2017). Und auch Initiativen wie der Münchner Aufruf für eine andere Bodenpolitik forderten 2017 ein soziales Bodenrecht und die ausschließliche Vergab e öffentlichen Grundbesitzes im Erbbaurecht ein (Münchner Aufruf 2017: 2). Im Folgenden soll daher die Frage geklärt werden, welchen Beitrag das Erbbaurecht für gemeinschaftlichen und selbstorganisierten Wohnbau leisten kann. Vor diesem Hintergrund wird zunächst die Entstehungsgeschichte des Erbbaurechts in Deutschland angeschaut und untersucht, inwieweit die ursprüngliche Idee noch heute gültig ist. Daraufhin werden die grundlegende Funktionsweise sowie die Möglichkeiten des Erbbaurechtsvertrags diskutiert sowie die Herausforderungen in der Praxis betrachtet. Daran schließt sich die Frage an, inwieweit gemeinschaftliche und selbstorganisierte Gruppen vom Erbbaurecht profitieren können und vor welchen speziellen Herausforderungen sie stehen. Dabei wird exemplarisch ein Blick nach Leipzig geworfen.