Neben den vielen Ereignissen des osmanischen Transformationsregimes des neunzehnten Jahrhunderts gehörte unter anderem der Reiseboom, der osmanischen Intellektuellen, die nach dem ersten Quartal des Jahrhunderts begannen, durch Europa zu touren und Reiseberichte zu veröffentlichen, dazu. Angespornt durch die Fortschritte in den Bereichen Transport, Drucktechnologien und zeitgenössische kulturelle Bestrebungen verbreitete sich die Art des ‘Lernens der Modernisierung der Route’ unter drei Generationen bürgerlicher Bürokraten, die gleichzeitig an Zahl und Vielfalt zunahmen. Zwischen 1850 und 1910 wurden etwa zwanzig zivile osmanische Reiseberichte in Zeitungen, Fachblättern und wöchentlichen Zeitschriften veröffentlicht und serialisiert, wobei einige von ihnen in einem Buchformat zusammengestellt wurden. Während Reisende ihre Erfahrungen aus erster Hand über Europa übermittelten, erkannten sie die Zuneigung, die diese Reiseberichte über die osmanische Öffentlichkeit hervorrufen, und nutzen sie sowohl als Propagandawerkzeug für ihre modernistischen Ideologien als auch als lukratives Literaturgenre. Diese Dissertation ist eine eingehende Untersuchung der Wahrnehmung der Reisenden für die städtische und architektonische Kultur europäischer Städte. Beabsichtigt wird hier, die zivilen Modernisierungserfahrungen in die städtische und architektonische Geschichtsschreibung des späten osmanischen Reiches aufzunehmen, die oft ausschließlich durch offizielle Erzählungen und formalistische Vergleiche geschrieben wurden. Das idiosynkratische Interesse der Individuen an dem errichteten Umfeld ist ein Symbol für die Berichte und somit auch für diese Studie.Die Dissertation startet vom Unterschied in Quantität und Qualität zwischen spätosmanischer Reiseliteratur und den der früheren Perioden. Die Unterbringung der osmanischen Reisenden unter den sozio-historischen Umständen des neunzehnten Jahrhunderts kontextualisiert die osmanische tour d’Europe innerhalb des Reisenetzes, welches die Grenzen des osmanischen Reiches überschreitet. In den ersten beiden Kapiteln werden Motivation, Hintergrund und die Netzwerke der Reisenden analysiert. Durch eine genaue Untersuchung der Strategien zum sammeln und verbreiten der Innformationen, diskursiven Merkmalen, der Rolle von Reiseführern und anderen Medien wird darauf untersucht, welche Auswirkungen sie auf die Wahrnehmung von Architektur und Urbanismus durch osmanische Reisende haben. Das Hauptargument ist, dass die Vermittler des stellvertretenden und selektiven Konsums von Europa durch spätosmanische Reisende vor ihrer Reise und auch Unterwegs durch Reiseführer vorgeschriebene Bilder in den Köpfen der Reisenden schufen. Der Diskurs der Reiseführer, insbesondere der französischen Baedeker-Ausgaben, der mit chronologischen und statistischen Daten gefüllt war, hatte einen unmittelbaren Einfluss darauf die osmanischen Berichte in einen Institutionalisierten Rahmen zu stellen. Die Darstellung der Modernisierung auf der Grundlage der synthetisierten monumentalen europäischen Geschichte in Baedekers spiegelte sich in osmanischen Reiseberichten, mit der Absicht den technischen Fortschritt und die osmanischen kaiserlichen, kulturellen und religiösen Taten zu unterstützten, wider.Ausgehend von dem sich ständig verändernden Istanbul, haben osmanische Reisende vor allem westeuropäische Hauptstädte bereist, während sie diese ständig mit der osmanischen Hauptstadt verglichen haben. Istanbul ist der ultimative Bezugspunkt, an dem Reisende die physische Beschaffenheit der europäischen Städte erkennen und die Informationen für ihre Leser mit lokalen Maßstäben und Einheiten vermitteln. Darüber hinaus wurde Istanbul von Reisenden als Samen der osmanischen Modernisierung gesehen; eine Stadt, die an ihren historischen undkulturellen Werten festhielt während sie auch gleichzeitig einen Hintergrund für wissenschaftlichen Fortschritt bietet.Osmanische Reisende, die stets auf die materielle europäische Kultur bedacht sind, verfassten reichliche Berichte, die seltene Einblicke in kollektive Werte und persönliche Verständnisse der urbanen Kultur bieten. Insbesondere nach den 1860er Jahren wurde die Begeisterung der osmanischen Reisenden von der Materialität der zeitgenössischen Architektur, den Methoden und der Technik des europäischen Urbanismus geweckt. Die zweite Hälfte der Dissertation, die das dritte und vierte Kapitel miteinbezieht, enthüllt die Wahrnehmung von Urbanismus und Architektur durch Reisende. Ihre Reaktionen und Verbreitungsmethoden (oder deren Fehlen) lassen eine gemeinsame urbane und architektonische Bildsprache erkennen, die das immer wieder umstrittene Thema der osmanischen Modernisierung beleuchtet. In den Reiseberichten werden die empirischen daten über geordnete Stadtgestaltung, Gebäude und dekorative Muster hauptsächlich durch Namen, Daten, Dimensionen, Statistiken und Vergleiche mit osmanischen Wahrzeichen übermittelt. Des weiteren forderte das bürgerliche Empfinden der Reisenden in Bezug auf Erbauung, Urbanität und Bildung sie darauf, kleinste Details zu beachten und sie auch persönlich zu praktizieren. Ihre unterschiedliche Empfindungen wurden eingetragen, um Architektur und Städtebau innerhalb standardisierter Daten als Hauptapparat zur Konkretisierung der Modernisierung zu definieren.Alles in allem lernten, beobachteten und nahmen die osmanischen Reisenden die Moderne mit großer Neugier wahr. Im Einklang mit ihren europäischen Altersgenossen machte ihr reges Interesse an der bürgerlichen Kultur ihre Reisen zu einer performativen Umsetzung der urbanen Modernisierung. Ihre Sensibilität brachte einen unerwarteten Ertrag, der sich in der dualen Erzählung der Reiseberichte niederschlug, in denen sowohl die enzyklopädischen und empirischen Daten zur Modernisierung als auch die persönlichen und emotionalen Empfindungen nebeneinander erzählt wurden. Das Verlangen, die Standards der modernen materialen Welt, das Know-how, die wissenschaftlichen und technischen Details zu erlernen, führte zu enzyklopädischen Erzählungen, die sich mit persönlichen Eindrücken, Empfindungen und der idealisierten Symbolik des zeitgenössischen Europas überlagerten. Die gebildeten oder zumindest vermittelten Beschreibungen der Reisenden standen in ständiger Konkurrenz mit einem Gefühl der Ehrfurcht vor dem eigenen Know-how, eine geordnete, aber gesellige moderne Stadt zu schaffen. Zweitens, besonders an der Wende des 20. Jahrhunderts, bekamen zivile osmanische Reisen die Bedeutung einer Reise in die Symbolik der modernen Zukunft der osmanischen Städte, aber auch eine Aufforderung zu einer Reise in die Geschichte des osmanischen Reiches. Das Verlangen nach historischem Bewusstsein, die Darstellung der Vergangenheit und die Versachlichung der authentischen und lokalen kulturellen Werte sind Aspekte, die die osmanischen Reisende am meisten überraschen. Während letztendlich bei der Vorgabe von Kodexen für die osmanisch- muslimische Modernisierung die Art und Weise, wie das traditionelle mit dem modernen, das Industrielle mit dem Historischen, das Erbe mit dem technischen Fortschritt vereint wird, zu einer ebenso wichtigen Überlegung wie die geordneten Parks oder die Geselligkeit der städtischen Plätze. Historisches Bewusstsein und konkrete Anknüpfungspunkte an die Vergangenheit, wie z.B. die Wohnarchitektur, die als wichtiges Anliegen der letzten Phase der osmanischen tour d’Europe entstand.